Interessengemeinschaft Deutsches Krokodil

Trennlinie

     
Trennlinie

Die Baureihe E 94 - Entwicklung und Planeinsatz

 

Die enormen Verkehrszuwächse in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre, nicht zuletzt verursacht durch die massive Aufrüstung Deutschlands, erforderten zur Streckenentlastung kürzere Fahrzeiten der Reise- und Güterzüge. Nachdem die Elektrifizierungsvorhaben der DRG zum Beginn der 1930er im Zuge der Wirtschaftskrise zunächst zum Erliegen gekommen waren, wurden nun wieder neue Pläne zur Elektrifizierung der wichtigsten Magistralen ins Auge gefasst, von denen kriegsbedingt allerdings nicht mehr alle zur Ausführung gelangten.
Bereits Ende 1937 wurde daher ein Entwicklungs- und Lieferauftrag der auf der Basis der E 93 neu zu entwickelnden Baureihe E 94 an die Firma AEG vergeben. Als Leistungsprogramm wurde festgelegt:

  • 600 t mit 50 km/h auf 25 ‰ Steigung
  • 1000 t mit 50 km/h auf 16 ‰ Steigung
  • 1600 t mit 40 km/h auf 10 ‰ Steigung
  • 2000 t mit 85 km/h in der Ebene

Die Höchstgeschwindigkeit sollte 90 km/h betragen, um auch Eilgüter- und Reisezüge befördern zu können. Nachdem durch den Anschluss Österreichs im Jahr 1938 auch Einsätze auf den Gebirgsstrecken an Arlberg, Tauern und Brenner in die Planung eingingen, sollte zur Schonung der Radreifen und der Bremsanlage zusätzlich eine elektrische Widerstandsbremse eingebaut werden.

Auch wenn der E 94 nicht in dem Maße der Makel einer "Kriegslok" anhaftet, wie den Dampflokomotiven der Baureihen 42 und 52, so ist es doch unstrittig, dass die relativ hohe Stückzahl und die auch in den Kriegsjahren fortgeführte Beschaffung eine eindeutige Sprache sprechen. Drei vereinheitlichte Baureihen der elektrischen Traktion sah die Deutsche Reichsbahn in ihrem Vierjahresplan von 1937 zur Weiterbeschaffung vor: Die E 18 für Schnellzüge, die E 44 für Personen- und leichte Güterzüge und schließlich die E 94 für den schweren Güterverkehr und Schnellzüge auf Rampenstrecken. Die Beschaffung der 92 E 18 wurde allerdings schon nach der Ordnungsnummer 53 abgebrochen und der Restauftrag zugunsten weiterer E 94 umgewandelt. Insgesamt belief sich die Bestellung zuletzt auf 285 Maschinen, die allerdings durch die Kriegseinwirkungen nicht vollständig zur Ausführung kam. Auch die 1943 erfolgten Bestellungen von vier Maschinen für die Slowakei und 20 für Rumänien wurden durch den Verlauf der Ereignisse nicht mehr realisiert.

Die letzte E 94 wurde allerdings erst 1956 bei der Deutschen Bundesbahn in Dienst gestellt. Der gesamte Beschaffungszeitraum lässt sich in drei Abschnitte gliedern:

  • 1940 - 1945 Serienbau
  • 1945 - 1953 Fertigbau
  • 1954 - 1956 Nachbau

Die nach 1945 in den Westzonen und in Österreich gebauten Maschinen entstanden weitgehend aus vorhandenen Teilen der Kriegsproduktion. Die bei der Deutschen Bundesbahn ab 1954 modifiziert nachgebauten E 94 deckten einen dringenden Bedarf an schweren Güterzuglokomotiven. Zu diesem Zeitpunkt waren die "Neubaulokomotiven" der Reihe E 50 (später: 150) noch nicht zur Serienreife gelangt.

Die ersten Maschinen wurden im Jahr 1940 ausgeliefert und bei den Betriebswerken Innsbruck und Pressig-Rothenkirchen in Dienst gestellt. In den kommenden Jahren rollten aus den Werkshallen von Krauss-Maffei in München und AEG in Hennigsdorf außerdem E 94 zu den Betriebswerken Probstzella, Waldenburg-Dittersbach, Saalfeld, Kornwestheim, Salzburg, Regensburg, Leipzig-Wahren, Augsburg, Rosenheim, Schlauroth, München Ost, Schwarzach St. Veith und Freilassing. Auf den elektrifizierten Rampenstrecken im Frankenwald, der Schwäbischen Alb, in Schlesien und Österreich wurden sie sogleich im schweren Einsatz vor Militär- und Versorgungszügen eingesetzt. Teilweise lösten sie auch im Schiebedienst eingesetzte Dampflokomotiven ab.

Die Kriegsereignisse ließen die Verkehrsströme sprunghaft ansteigen. Da der "Achsenpartner" Italien auf deutsche Lieferungen angewiesen war, kam hier dem Verkehr über Arlberg und Brenner eine besondere Bedeutung zu.

Kriegsbedingt waren auch Verluste in den Reihen der E 94 zu beklagen. So wurden E 94 010 und 015 nach Bombentreffern ausgemustert. E 94 083, 143 und 144 wurden noch vor der Auslieferung zerstört. Nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reichs" im Mai 1945 verteilten sich die E 94 wie folgt: 65 Maschinen in den Westzonen, 22 in der sowjetischen Besatzungszone, acht in Schlesien, eine im späteren West-Berlin und 47 in Österreich. Ein Großteil der Lokomotiven wies zum Teil schwerste Beschädigungen auf und war damit nicht einsatzfähig.

In den Westzonen begann man unverzüglich mit dem Wiederaufbau der Infrastruktur und der Fahrzeuge. Schon bis zum Ende des Jahres 1945 konnte auf fast allen elektrifizierten Strecken Süddeutschlands wieder mit Elloks gefahren werden. Waren die Fahrleitungsanlagen recht rasch instandzusetzen, so dauerte dies bei den kriegsbeschädigten Loks zum Teil mehrere Monate. Weitgehend wurden die Reparaturarbeiten in den Herstellerwerken ausgeführt. Bis 1948 waren fast alle E 94 wieder im Einsatz. Aus der einstigen Kriegslok wurde das Rückrat des elektrischen Zugbetriebes beim Wiederaufbau. Das "Wirtschaftswunder" führte schon bald zu einem weiteren Bedarf an elektrischen Güterzuglokomotiven. Für die neu zu elektrifizierende Strecke Nürnberg - Würzburg bestellte die junge Deutsche Bundesbahn 1952 eine Serie von 27 Lokomotiven der Baureihe E 94 nach. Die Neuentwicklungen steckten damals noch in den Kinderschuhen, so dass man auf die bewährte Konstruktion zurückgriff. Rechtzeitig zur Eröffnung des elektrischen Betriebes im Jahr 1954 begann die Auslieferung der Nachbaulokomotiven. Für die ebenfalls zu elektrifizierenden Strecken Bruchsal - Heidelberg - Mannheim und Würzburg - Aschaffenburg erfolgte eine Bestellung über weitere 16 Maschinen. Die Finanzierung erfolgte mit Krediten der Länder Baden-Württemberg und Bayern sowie aus Mitteln des Marshallplans.

Der Bestand erhöhte sich damit auf 124 Lokomotiven der Baureihe E 94 bei der DB. Ab 1968 wurde die Baureihenbezeichnung für die elektronische Datenverarbeitung in 194 geändert und im Anschluss an die Ordnungsnummer eine Kontollziffer angehängt. So wurde zum Beispiel aus der E 94 279 die 194 279-6.

Obwohl sich das Einsatzgebiet durch fortwährende Elektrifizierungen erweiterte, blieben die 194 weiterhin nur in Süddeutschland heimisch. Auch wenn sie gelegentlich in Hagen-Vorhalle, Göttingen oder Saarbrücken auftauchten - die Betriebswerke des Nordens und Westens nahmen nur Neubauloks in ihren Bestand auf. Zwar gingen die hochwertigen Langläufe vor schnellen Güterzügen zunehmend in die Laufpläne von 140, 150 und 151 über, doch konnten die Altbauloks auch weiterhin interessante Leistungen fahren. Die 1965 aufgenommenen Durchläufe zwischen DB und ÖBB bescherten den 194 Züge nach Linz, Villach und - bis zum Ende ihrer Tage - zum Brenner.

Im Jahr 1976 wurde die 194 140 nach einem Brand als erste ausgemustert. Konnten die Neulieferungen der Baureihen 150 (1958 - 1973: 194 Stück) und 151 (1972 - 1977: 170 Stück) noch durch die Ausweitung des elektrifizierten Netzes aufgefangen werden, so machten der Rückgang des Schienengüterverkehrs und die Auslieferung der Drehstromlokomotiven der Reihe 120 die in die Jahre gekommenen 194 zunehmend entbehrlich. Waren bis Anfang der achtziger Jahre nur vereinzelte Ausmusterungen zu verzeichnen, so führte man ab 1985 keine Hauptuntersuchungen an den Altbauloks mehr durch. 1984 verschwanden acht, 1985 sieben und 1986 schon 16 Maschinen aus den Bestandslisten. Zu diesem Zeitpunkt waren nur noch in Ingolstadt und in Nürnberg Loks der Baureihe 194 stationiert. Anschließend folgte der Kahlschlag: 1987 mussten 67 teilweise völlig intakte 194 den Dienst quittieren und im Sommer 1988 endete schließlich der Planeinsatz. Die letzten 30 E 94 wurden am 28. Juni 1988 ausgemustert.

Anders verlief das Schicksal der 1945 in Mitteldeutschland und in Schlesien verbliebenen Lokomotiven. Mit Ausnahme vier schwer beschädigter Maschinen mussten sie alle 1946 als Reparationsleistung an die UdSSR abgegeben werden. Sie wurden zwischen 1948 und 1951 zur Abfuhr von Steinkohle auf einem Teilstück der Petschorabahn Kotlas - Workuta nördlich des Polarkreises eingesetzt. Hierfür wurden sie in grobschlächtiger Weise auf 1524 mm umgespurt und mit einer Mittelpufferkupplung ausgerüstet. Die Installation des elektrischen Versuchsbestriebes erfolgte ebenfalls aus Reparationsgut. Nachdem die Entscheidung zugunsten des Stromsystems mit 25 kV bei 50 Hz gefallen war, gab man im Jahr 1952 den größten Teil der Maschinen und Anlagen an die DDR zurück. Der schlechte Zustand der Maschinen belegte den harten Einsatz unter extremen Bedingungen. Vier Maschinen wurden an die DB verkauft, 23 bis 1961 einer Generalüberholung unterzogen und zwei ausgemustert. Der DDR-Ministerrat hatte 1953 den Beschluss zum Wiederaufbau der elektrischen Zugförderung gefasst. Die E 94 wurden bei den Betriebswerken Halle P, Magdeburg-Buckau, Bitterfeld, Leipzig-Wahren und später auch in Zwickau heimisch. Die E 94 der DR (ab 1970 als Baureihe 254 geführt) waren anfangs überwiegend im schweren Güterzugdienst auf dem Streckenring Leipzig - Halle - Magdeburg - Dessau - Bitterfeld - Leipzig eingesetzt. Mit der fortschreitendenden Elektrifizierung liefen sie auch auf dem "sächsischen Dreieck" Leipzig - Zwickau - Dresden - Leipzig und nach Eilenburg Ost, Elsterwerda, Hoyerswerda, Reichenbach, Camburg, Neudietendorf, Fallersleben, Seddin und Stendal. Eine ernsthafte Konkurrenz bekamen die "Eisenschweine", wie sie vom DR-Personal genannt wurden, erst mit der Entwicklung der Baureihe 250 (heute: 155). Nachdem 1974 zunächst drei Prototypen auf die Schienen gestellt worden waren, begann ab 1977 die Serienfertigung. Bis 1984 wurden 270 Lokomotiven in Betrieb genommen, die nach und nach in die Dienste der E 94 eindrangen. Zwischen 1974 und 1986 waren nur einzelne Ausreihungen zu verzeichnen. Anschließend wurden keine Hauptuntersuchungen mehr durchgeführt. Da mit den politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen Ende 1989 ein erheblicher Rückgang des Schienengüterverkehrs verbunden war, konnte man bis August 1990 die letzen acht Maschinen aus dem Betrieb nehmen. Sie wurden allerdings erst zum 31. Januar 1992 ausgemustert. Nur wenig länger hielt sich der E 94-Einsatz beim Braunkohlekombinat Bitterfeld. Die zuletzt im Rangierdienst in Delitzsch eingesetzte 1-1122 (ex E 94 058) war die letzte regulär im Betrieb befindliche Lok ihrer Baureihe. Sie wurde 1991 abgestellt.

Am längsten standen die E 94 in Österreich im planmäßigen Einsatz. Von den 47 dort nach Kriegsende verbliebenen Maschinen wurden zwei im Rahmen eines Loktauschs an die DR West zurückgegeben und eine als Ersatzteilspender ausgeschlachtet. Die restlichen 44 Loks wurden bis 1952 instandgesetzt. Bis zum Erscheinen der sechsachsigen 1010/1110 Mitte der 50er Jahre waren sie auf ihren bisherigen Stammstrecken vor allen Zuggattungen zu sehen. Dabei erreichten sie Laufleistungen, die weit über denen ihrer Schwestern in Deutschland lagen. Der Ausbau des elektrischen Betriebes erweiterte das Einsatzgebiet der bei den Zugförderungsstellen Bludenz, Innsburck, Salzburg und (ab 1952) Villach stationierten Loks, die nun auch in Linz, Villach, Tarvisio, Lindau und Jesenice wendeten. 1954 führten die ÖBB ein neues Nummernschema ein, das den E 94 die Baureihenbezeichnung 1020 zuwies. Dabei erhielten sie neue fortlaufende Ordnungsnummen. So wurde zum Beispiel die E 94 001 fortan als 1020.18 bezeichnet. Auch bei der ÖBB wurden noch E 94 nachgebaut. Aus dem nicht mehr fertiggestellten Baulos E 94 146-148 lagerten bei der WLF noch Teile, aus denen 1954 die 1020.45-47 entstanden. Neue Lokomotivgenerationen führten zwar zu Umstrukturierungen bezüglich der Einsatzgebiete, doch konnte man nicht auf die robusten und leistungsfähigen Maschinen verzichten. Zwischen 1967 und 1980 wurden daher alle Altbaumaschinen im Rahmen von Hauptuntersuchungen einer umfangreichen Modernisierung unterzogen. Die Nachbauloks waren von dieser Maßnahme ausgenommen und wurden daher auch schon zwischen 1983 und 1985 ausgemustert. Ab 1970 wandelte sich das Farbkleid der 1020 von tannengrün in ein auffälliges blutorange. In den 70er Jahren befuhren die 1020 ein ausgedehntes Revier. Sie erreichten u.a. die Bahnhöfe Brenner, Buchs (SBB), Lindau (DB), München (DB), Jesenice (JZ) und Tarvisio (FS). Erst die Beschaffung der Reihe 1044 ab 1978 drängte sie nach und nach in den Vorspann- und Schiebedienst an den Bergstecken ab. Ab 1985 erhielten die 1020 auch EDV-gerechte Nummern, so wurde beispielsweise aus der 1020.27 die 1020 027-7. Einige Maschinen erhielten sogar noch einen Anstrich in verkehrsrot bzw. einen lichtgrauen Zierstreifen. Ab 1986 begann die Ausmusterung der modernisierten 1020. Nachdem 5 Maschinen abgestellt waren, wurden ab 1990 wieder Ausbesserungen durchgeführt. Der "Neue Austro-Takt" führte noch einmal zu einer kurzen Blüte der Einsätze, die ab 1993 mit Auslieferung des nächsten 1044-Bauloses und der Rezession im Güterverkehr ein schnelles Ende fand. Anfang 1994 endeten die Planeinsätze in Innsbruck und Wörgl, im Sommer 1994 folgte Bludenz. Zuletzt stellte Villach noch für den Winter 1994/95 einen 1020-Laufplan auf, der allerdings zunehmend von modernen Loks infiltriert wurde. Der Einsatz im Sonderverkehr und als fahrbare Heizlokomotiven lief bis zum 31. März 1995 aus, am 1. Mai 1995 wurden die letzten beiden 1020 aus dem Bestand gestrichen.

 

Text: Joachim Hund
Zuletzt geändert am 28.09.2012